Flingern: Paradiesische Zustände – von Bertram Müller
Rheinische Post I 29.05.2012
Jedermann weiß, dass Adam und Eva unwiderruflich aus dem Paradies vertrieben worden sind. Weniger bekannt ist, dass sich einige kleine Paradiese in Nischen unserer Gesellschaft erhalten haben. Wer von “paradiesischen Zuständen” spricht, hat immer auch eine Ahnung davon, wo sie anzutreffen sind.
Paradiesische Zustände herrschen zurzeit im Flingerner Atelier des Künstlers Thomas Kesseler. Er hat seine Werkstatt vorübergehend ausgeräumt und den Platz seiner Ehefrau überlassen, der Kunsthändlerin Jutta Kleinknecht. Beide zusammen haben in dem neu gewonnenen Schauraum an einem idyllischen Hinterhof eine Ausstellung eingerichtet, welche die “Paradiesischen Zustände” im Titel trägt.
Das Paradiesische dieses Unternehmens beginnt bereits bei den Umständen. Wer Kinder mitbringt und dennoch die 70 Kostbarkeiten an den Wänden in Ruhe genießen möchte, schickt die Kleinen einfach in den Hinterhof. Beim Rundgang durch drei Räume wird er entdecken, dass die Austellung nicht bloß Motive zum Thema Paradies aneinanderreiht, sondern darüber hinaus mit diesem Begriff spielt. Auch ungegenständliche Malerei kann paradiesisch wirken, und wenn am Ende Rembrandts stille Radierung “Christus am Ölberg” aufscheint, hat der Besucher eine Nuss zu knacken: Was um Himmels willen verbindet dieses Schmerzensmotiv mit paradiesischen Zuständen?
Zunächst aber löst die Schau ihr Versprechen eins zu eins ein. Den Mittelpunkt des ersten Raums bildet ein 1799 entstandener Kupferstich “Adam und Eva im Paradies” von James Heath und Samuel Middiman nach Jan Brueghel. Das Besondere dieses Blatts besteht darin, dass Adam und Eva im Hintergrund lediglich als weiße Schemen zu erkennen sind. Im Vordergrund dagegen tummeln sich Tierpaare – Affen, Panther und Co. -, die untereinander und gegenüber den Nachbarn ganz friedlich sind.
Ringsum kann man erleben, wie Max Klinger sich im 19. Jahrhundert mit dem Paradies auseinandergesetzt hat. Er rückt die Schlange ins Bild, auf einem anderen Blatt Eva, auf wieder einem anderen Adam. Und Thomas Kesseler, der Hausherr? Er appelliert in seiner hochästhetischen Malerei “Gelb 205” an die Assoziationskraft der Betrachter.
Im zweiten Raum leuchten intensiv Farben des 20. und 21. Jahrhunderts: auf Gemälden von Rupprecht Geiger vor allem. Die Düsseldorferin Ulrike Heydenreich setzt in ihren Meeres Siebdrucken auf eine verhaltene Stimmung, die aus der Kombination von Emaillefarbe und Glas fließt. Im dritten Raum treffen noch einmal Alte Meister und Neuzeit zusammen. Eine in ihrer Schlichtheit bezaubernde „Quadratische Komposition 6″ von Antonio Calderara trägt ebenso zur Atmosphäre bei wie jenes Blatt Rembrandts, das auf den ersten Blick seine Einordnung verweigert. Doch der Begriff „Paradiesische Zustände” umfasst ja zwei Wörter. Und “Zustand” bedeutet in der Grafik den Bearbeitungszustand einer Druckplatte. Jede Änderung ergibt ein neues Blatt. So ist Rembrandts “Christus am Ölberg” zwar kein paradiesisches Motiv, doch der Zustand dokumentiert eine Komposition von paradiesischer Meisterschaft.
Noch mehr gibt es zu entdecken: Piranesis Muschel-Blatt und Kesselers Wunderkammerkasten mit Kopf, Figürchen und wiederum Muscheln. Und was hat Giulio Tombas Radierung „Rosaspinas Zeichenschule bei Abendbeleuchtung” von 1811 mit dem Paradies gemein? Man muss schon die Brille aufsetzen: Eines der winzigen Blätter, die eine Wand der Zeichenschule füllen, zeigt Adam und Eva.
Die Jagd nach dem Glück – von Susanne Schreiber
HANDELSBLATT – Kunstmarkt I online-Ausgabe I 08.05.2012
„Paradiesische Zustände“ heißt eine außergewöhnliche Ausstellung in Düsseldorf. Die Kunsthändlerin Jutta Kleinknecht inszeniert einen so vergnüglichen wie nachdenklichen Dialog von Alter und zeitgenössischer Kunst.
Düsseldorf I Ein schattiger Garten in drückender Hitze, Wolken am Himmel, denen wir nachsinnen dürfen, in Liebe zu entbrennen oder die Architektursprache einer gotischen Schlosskapelle als Abbild des himmlischen Jerusalem auf Erden zu entschlüsseln – das sind alles „Paradiesische Zustände“- im Leben wie in der Kunst. Die Kunsthändlerin Jutta Kleinknecht hat 70 Arbeiten, überwiegend auf Papier, aus fünf Jahrhunderten unter diesem Motto zusammengestellt.
Im Zentrum stehen „Adam und Eva im Paradies“ nach Jan Brueghel inmitten all der friedlichen Tiere, in einem feinen Kupferstich von James Heath und Samuel Middiman (5.800 Euro). Das Besondere – der Abzug ist in winzigen Partien unvollendet und vor der Beschriftung zur Probe gedruckt. Dieses Unikat von 1799 macht die Arbeitsteiligkeit und den künstlerischen Prozess der Kupferstecher sichtbar. Zugleich führt der Begriff des (vorzüglichen) Druck- und Erhaltungszustands eine zweite Bedeutungsebene ein in dieser instruktiven Schau.
Sie leistet sehr viel mehr als eine der derzeit grassierenden Themenausstellungen, in denen sich Motive bloß aneinanderreihen. Bei Kleinknechts Paradies-Schau entspinnt sich in der besonderen Atmosphäre eines Hinterhofateliers in Düsseldorf-Flingern ein Dialog zwischen den Werken, den Zeiten und den Räumen über nichts geringeres die conditio humana.
„Augenblick, verweile doch!“
Bekommen wir einen Abglanz des Paradieses zu fassen, dann immer nur kurz. So sind auch Kleinknechts Jahresausstellungen auf nur ein Wochenende und in der Verlängerung (auf Voranmeldung) auf einen knappen Monat begrenzt. Denn Ehemann Thomas Kesseler räumt dafür jedes Mal sein eigenes Maler- und Bildhaueratelier. Kaum ein Galerist vermag mit so sicherer Hand wie Kleinknecht und Kesseler den Alten Meistern Kunstwerke von Zeitgenossen zur Seite zu stellen.
Rembrandts fein gedruckte Landschaftsidylle „Hütten am Kanal“ (Bartsch 228, 58.000 Euro), Piranesis antikes „Grab der drei Brüder Curiati in Albano“ (1.950 Euro) und vier Blätter aus Klingers Folge zu Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies sind faszinierend vielschichtige Kunstwerke, die man noch nicht zu oft gesehen hat. Weil eine Adam-und-Eva-Darstellung in „Rosaspinas Zeichenschule“ von Giulio Tomba nach Felice Giani hängt, kommt der Besucher in den Genuss einer Unterrichtsdarstellung. Wie die angehenden Künstler studiert der Betrachter verschiedene, lässige Körperhaltungen und Gesten, die antiken Reliefs abgeschaut sein dürften (3.000 Euro).Dass schließlich im Sammeln selbst paradiesische Momente liegen, davon erzählt das menschenleere Studiolo eines Sammlers, das L. Henry Soterlet 1892 radiert hat (2.500 Euro). Angefüllt ist die Studierstube mit noblen Tapisserien sowie mit ungezählten Stein- und Bronzeskulpturen vornehmlich aus der Renaissance.
Die Druckkunst verlangt langsames, tastendes Schauen. Sonst verpasst der Kunstfreund die brillanten Übergänge vom Schwarz zu den Graustufen, die Details der figurativen Erzählung. Dieses entschleunigte Tempo tut auch den Zeitgenossen gut. Da gleitet das Auge des Besuchers dann von allen Seiten über die zarte „Bogenform“, die Christiane Löhr aus Grasstengeln zu einer anmutigen Skulptur so gebaut hat, dass sie an Moschee- und Kirchenkuppeln erinnert. Beide sind in ihrer Gleichseitigkeit und Perfektion Abbilder des Göttlich-Perfekten (8.500 Euro).
Zwei Seiten einer Medaille
Glückszustand oder Bedrohung? Das bleibt offen in Ulrike Heydenreichs Serie „Oceanscapes“. Da hat die Künstlerin das Meer beim Schwimmen fotografiert und mit Siebdruck schwarz-weiß auf Glas gebracht (je 2.100 Euro). Wer die Spiegelschriftseiten auf Seidenpapier im handgeschriebenen Buch „Sodome et Gomorrhe“ nach Proust von Nicole Morello umblättert, beginnt über die schmerzvolle Suche nach dem Glück nachzudenken. Während Proust den Außenseiterstatus des Homosexuellen reflektiert, verknüpft Nicole Morello die Linkshändigkeit und den ihr innewohnenden gesellschaftlichen Störfaktur mit der Ästhetik eines großen, schönen Künstlerbuches über das Anders-Sein (21.500 Euro).
Farbe kommt in Kleinknechts dritter Ausstellung an diesem arkadischen Ort nur behutsam gesetzt vor: in einem tief gelb strahlenden, pigmentgesättigten Blatt von Thomas Kesseler (1.800 Euro), das herrlich mit den „Wellensittichen“ auf einem Farbholzschnitt von Otto Lange (1.800 Euro) korrespondiert. Einen Raum weiter, beim Thema Meer, Muscheln, Strand und Eros, explodiert sie geradezu in den neonfarbigen Serigrafien „Bert Stern’s Phantasmagoric Vision of Marilyn Monroe“ (je 480 Euro). Aufgenommen kurz vor Marilyns tragischem Tod, sind Sterns Bilder einer erotischen Verführung der Kamera nur die andere Seite der Medaille: dem Hinauswurf aus dem Paradies.
Max Klinger verleiht Adam, der Eva geschultert aus dem Garten Eden in die Öde der Welt trägt, doch glatt die Züge des Musiktitanen Beethoven. Wem das zu viel Pathos ist, dem sei eine schwarze japanische Musterschablone „Katagami“ aus dem 19. Jahrhundert empfohlen, durch die Blitze zucken (860 Euro). Auch so ein Bild von Schönheit und Gefahr, aber gebändigt durch Geometrie und Ornament.