Der Traum vom anderen Leben – von Susanne Schreiber
HANDELSBLATT – Kunstmarkt I online-Ausgabe I 13.05.2011
Die Kunsthändlerin Jutta Kleinknecht kombiniert kühn Qualitäten. In ihrer Jahresausstellung lässt sie zeitgenössische Kunst auf Graphik von Dürer und den Manieristen treffen, auf Alfred Kubin oder Rembrandt.
Düsseldorf I Es geht auch anders. Ohne große, teure Galerieräume, ohne Personal und ohne ständigen Zwang zur Präsenz. Gerade der Rückgang der Verkäufe im Zeitgenossenmarkt nach dem Lehman-Crash hat Alternativen zur klassischen Galerie wieder attraktiv gemacht. Als sich Jutta Kleinknecht 2010 nach 14 Jahren in Kunsthandel und Auktionshaus selbstständig gemacht hat, wollte sie ihren Kunden das Besondere bieten – was Programm und Location betrifft. Einmal im Jahr leiht sich die Graphikhändlerin deshalb einen Gartenpavillon und zwei Atelierräume von ihrem Mann, dem Künstler Thomas Kesseler. Den Besucher erwarten bei diesen nur einmal pro Jahr stattfindenden Ausstellungen (14./15. Mai bis 4. Juni 2011) nicht nur ein idyllischer Hinderhof in Düsseldorf-Flingern und die besondere Atelieratmosphäre. Jutta Kleinknecht hängt auch mutig zeitgenössische Kunst neben die Großmeister der Graphik Albrecht Dürer, Barthel Beham und Rembrandt.
Erotischer Traum
Das Thema Traum verbindet Druckgraphik und Zeichnungen aus sechs Jahrhunderten: Träume von der Liebe, von den Sternen, dem großen Glück, dem besseren Leben nach der Flucht. Das kapitalste Blatt unter den 70 Arbeiten ist Albrecht Dürers Kupferstich „Traum des Doktors“ im ersten von fünf Zuständen. In dem Stich, ehemals Sammlung British Museum, lässt der Teufel dem schlafenden Doktor eine Venus erscheinen, während Amor übermütig wird und versucht auf Stelzen zu balancieren. Mit 64.000 Euro markiert dieser erotische Traum die Obergrenze der Ausstellung.
Die seltenen Holzschnitte aus Dürers „Marienleben“ mit dem unbeschnittenen, breiten Rand kosten je 8.600 Euro. Maria und Joseph waren ja nach einem Traum nach Ägypten aufgebrochen.
Das Glück in den Sternen suchen
Alfred Kubins Illustrationsvorlage „Finetas Fall“ um einen katalanischen Glöckner und ein attraktives Weib (1918, 4.900 Euro) hängt neben den kessen Zeichnungen von Sybille Rath (* 1970), die sich immer wieder mittelalterliche Wasserspeier vornimmt (650 Euro). Nicht weit davon erzählt ein Druckstock mit einem „Centaurus“ vom Druckhandwerk, von der Glückssuche in den Sternen und davon, dass die 1603 herausgegebene „Uranometria“ von Johann Bayer bis ins 19. Jahrhundert Gültigkeit hatte.
Farbenergien
Wer es abstrakter mag, findet schöne Beispiele konkreter Kunst von Attila Kovacs und Ludwig Wilding. Von Letzterem etwa einen feinen, die Sinne verwirrenden Op-Art-Kasten, der auf einer konzentrischen Serigraphie basiert. Das „Kinetische Objekt“ von 1969 soll 1.600 Euro kosten. Freunde starker Farben werden sich möglicherweise von Chen Ruo Bings leuchtenden Farben auf Karton angezogen fühlen. Chen (* 1970) hat in China Kalligraphie studiert und dann in Düsseldorf Malerei (1.100 bis 1.600 Euro). In tiefstem Violett changiert ein monochromes Quadrat „o.T.“ von Thomas Kesseler. Typisch für den Hausherrn ist die Verwendung von natürlichen Pigmenten, was den Bildern eine ganz eigene Farbenergie verleiht (4.800 Euro).
Günstige Preise
Zwischendrin spielt dann mal ein apartes, kleines Gipsrelief aus dem Italien des 18. Jahrhunderts die dritte Dimension aus. Der Schwerpunkt liegt im Kunsthandel Kleinknecht dennoch eindeutig bei der Kunst auf Papier. Das Besondere in Kleinknechts Angebot ist marktfrische Graphik aus alteingesessenen Sammlungen. Sattsam bekannte Blätter aus den einschlägigen Auktionskatalogen sucht man hier vergebens.
Jutta Kleinknecht hat stets einen Fadenzähler, eine extrastarke Lupe, in der Handtasche. Damit kommt sie dem Geheimnis eines jeden Papiers auf die Spur. Die Kunsthistorikerin wartet gern auf mit Künstlerabzügen oder Frühdrucken. Deren Preise sind oft erstaunlich konsumfreundlich kalkuliert. Auch das ist hier anders. „Nur so lassen sich neue Sammler gewinnen. Denn die erfahrenen Freunde der Alten Kunst werden immer weniger“, begründet Jutta Kleinknecht ihre strategische Sammlerpflege.